Offener Brief zur Unterstützung von Kriegsverletzten aus der Ukraine

Offener Brief zur Unterstützung von Kriegsverletzten aus der Ukraine

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Wegner, 

sehr geehrte Frau Senatorin Kiziltepe, 

sehr geehrte Frau Senatorin Czyborra, 

sehr geehrte Staatssekretärinnen und Staatssekretäre,

sehr geehrte Leiterinnen und Leiter der Berliner Sozialämter und Jobcenter, 

sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns erneut an Sie mit einem offenen Brief zur Unterstützung von Kriegsverletzten aus der Ukraine. 

Wir wollen uns als Erstes für Ihre Solidarität mit der Ukraine und Ihre Unterstützung für aus der Ukraine geflüchtete Menschen vom Herzen bedanken! Das zeigt, dass Deutschland und Berlin an der Seite der Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit stehen.

Im Juni 2023 haben wir uns an Sie, Herr Bürgermeister, gewandt mit der Bitte um Unterstützung für ukrainische Kleeblatt-Patient*innen (https://ukr-alliance.de/uk/offener-brief-an-den-regierenden-burgermeister-berlins-herrn-kai-wegner-2/).

 
Damals haben wir die Herausforderungen bei der Begleitung dieser Patient*innen dargestellt sowie konkrete Lösungsvorschläge formuliert. Daraufhin kündigte der Senat an, Schwerpunktbezirke festzulegen sowie weitere Schritte zu unternehmen. 

Neun Monate später müssen wir leider feststellen, dass bisher in der Praxis keine konkreten Verbesserungen zu verzeichnen sind. Alle Probleme, die wir damals angesprochen haben, bleiben bestehen.

Dabei zeigt Hamburg, ebenfalls ein Stadtstaat, dass eine bedarfsgerechte Unterbringung sowie Verfahrenserleichterungen bei der Antragstellung die Situation von Kriegsverletzten und ihren Angehörigen massiv verbessern und ehrenamtliche Helfer*innen entlasten können. Der Verein „Feine Ukraine“ arbeitet hierfür direkt mit den Hamburger Behörden zusammen.

Der völkerrechtswidrige großflächige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine dauert weiter an, mit seiner unfassbaren Brutalität. Die Zahl von schwerstverletzten Zivilist*innen und Soldat*innen in der Ukraine beträgt Zehntausende Menschen und wächst täglich. Deutschland leistet im Rahmen des Kleeblatt-Verfahrens einen wichtigen Beitrag, indem es einige schwerverletzte Patient*innen aufnimmt und in Bundesländern verteilt. 

Seit 2022 hat Deutschland ca. 1000 Kleeblatt-Patient*innen aufgenommen. Ca. 50 davon kamen in Berlin an, viele sind in der Zwischenzeit zurückgereist. Die genauen Zahlen kennt der Berliner Senat nach eigenen Angaben leider nicht.

Was passiert nach der Ankunft der Kleeblatt-Patient*innen in Berlin? Wer ist für ihre Begleitung und Unterstützung zuständig?  

Die Schwerverletzten und ihre Angehörigen werden unmittelbar nach ihrer Ankunft mit unzähligen Hürden konfrontiert, auf die wir in unserem ersten offenen Brief eingehen.

 

Hier sind aus unserer Erfahrung die zentralen Herausforderungen in Berlin: 

1. Die Kostenübernahme für die medizinische Behandlung im Krankenhaus ist nicht gesichert. Manche Krankenhäuser behandeln die Kleeblatt-Patient*innen, auch wenn diese noch kein Mitglied bei der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Andere verlangen von evakuierten ukrainischen Patient*innen sofort eine deutsche Versicherungskarte und entlassen sie ohne Behandlung, wenn keine Versicherung vorhanden ist. 

2. Die Kostenübernahme für Medikamente und Heilmittel sowie für die ambulante medizinische Versorgung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ist nicht gesichert. Auch wenn Patient*innen eine Notbehandlung im Krankenhaus erhalten, bleibt die weitere medizinische Versorgung vom Versicherungsstatus der Patient*innen abhängig. Ohne eine Versichertenkarte wird den Patient*innen eine ambulante Nachsorge und Behandlung verweigert. Ehrenamtliche Helfer*innen müssen mit eigenen Mitteln Arztbesuche bezahlen und die Privatrezepte für verschreibungspflichte Medikamente selbst finanzieren, solange die Betroffenen keine Krankenkassenkarte besitzen. Dies kann Wochen oder Monate dauern. Auch danach kommt es immer wieder vor, wenn bspw. die Zuständigkeit zwischen dem Sozialamt und dem Jobcenter neu geklärt wird und in solchen Phasen keine gesetzliche Versicherung besteht.

3. Die zeit- und ressourcen-intensive Begleitung von Kleeblatt-Patient*innen und ihren Begleitpersonen in Berlin und bundesweit werden hauptsächlich durch Ehrenamtliche gewährleistet. Ein dafür geschaffenes bundesweites Projekt „Ergänzende soziale Betreuung und Rücktransport für MEDEVAC-Patienten aus der Ukraine“ startete als Nachfolger eines Modellprojektes im Februar 2023 und wird laut der Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Anfrage der CDU/CSU mit 4,8 Mio. Euro finanziert. Aus der Antwort folgt, dass ca. 30%, d.h. 1,6 Mio. Euro, für die Sozialbetreuung von Patient*innen vorgesehen seien. Damit werden 8,5 Vollzeit-Stellen von Patient*innen-Lots*innen bundesweit finanziert, davon 1,5 Stellen in Berlin und Brandenburg, wobei eine Teilzeit-Stelle im November 2023 unbesetzt blieb, so die Antwort der Bundesregierung.

4. Komplizierte langwierige Verfahren bei der Antragsstellung in den Jobcentern und Sozialämtern, die viele Ressourcen von Ehrenamtlichen abverlangen. Dies kann auch zu einem unklaren Versicherungsstatus und dadurch zum Wegfall von medizinischen und Reha-Leistungen führen. Je nach gesundheitlichem Zustand, der Gültigkeit des medizinischen Gutachtens, der Dauer der Aufenthaltserlaubnis und weiterer Gegebenheiten müssen die Anträge immer wieder neu gestellt werden. Hier fehlen ehrenamtlichen Begleiter*innen ein einheitliches Verfahren sowie feste Ansprechpartner*innen, die mit der besonderen Situation von Kleeblatt-Patient*innen und der aktuellen gesetzlichen Lage vertraut sind. Zugleich gibt es engagierte Mitarbeiter*innen in einzelnen Sozialämtern und Jobcentern – vielen Dank an dieser Stelle für ihre Unterstützung. 

5. Neben der Antragsstellung beim Jobcenter bzw. beim Sozialamt übernehmen die Ehrenamtlichen die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises, des Pflegegrades, der Zuzahlungsbefreiung bei der Krankenkasse, der Reha und von Prothesen, um nur einige Aufgaben zu benennen. All dies ist ebenfalls sehr zeitintensiv. Die Ehrenamtlichen müssen alle Fristen im Blick behalten, Widersprüche einlegen, unzählige Formulare ausfüllen und stets nach den richtigen Ansprechpartner*innen suchen.

6. Bedarfsgerechte Unterbringungsstrukturen fehlenDas Ankunftszentrum Tegel ist nicht als Dauerlösung für Menschen mit Behinderungen oder schweren Verletzungen konzipiert. Es ist nicht barrierefrei, schwierig mit ÖPNV erreichbar und als Massenunterkunft mit über 5000 geflüchteten Menschen mit einer hohen Ansteckungsgefahr verbunden. 

Bis heute unterstützt eine kleine Gruppe von Ehrenamtlichen kriegsverletzte Kleeblatt-Patient*innen aus der Ukraine in Berlin. Wie Sie sehen, sind die damit verbundenen Aufgaben sehr umfangreich. Sie tun dies neben ihren Voll- und Teilzeitjobs, neben dem Studium, neben ihren Familien, Kindern, pflegebedürftigen Angehörigen. 

Was kann das Land Berlin tun, um die Situation von ukrainischen Kriegsverletzten zu verbessern?

Unsere Lösungsvorschläge:

1. Schwerpunktbezirke mit festen Ansprechpartner*innen in Jobcentern und Sozialämtern festlegen, die mit einander kooperieren und über die aktuelle gesetzliche Lage informiert sind, wie z.B. über die Ukraine-Aufenthaltserlaubnis-Fortgeltungsverordnung vom 4.12.23. 

2. Verfahrenserleichterungen bei der Antragsstellung einführen (neben den festen Ansprechpartner*innen – auch schnellere Fristen und kein Behörden-Ping-Pong).

3. Eine vereinfachte Beantragung der Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung für Kriegsverletzte ermöglichen. Dies soll noch während des Krankenhausaufenthalts geschehen, damit die Patient*innen stationär und im Anschluss ambulant behandelt werden können.

4. Wir brauchen eine bedarfsgerechte Unterbringung für pflegebedürftige Kriegsverletzte und ihre Angehörigen, wo sie nach ihrer Entlassung untergebracht und versorgt werden können. Die Ehrenamtlichen sind bereit, sich um die Organisation von Pflegediensten und die Beantragung von Hilfsmitteln wie Betten usw. zu kümmern.  Gleichzeitig wäre es sinnvoll, eine koordinierende Stelle beispielsweise beim LAF einzurichten, die Kooperationen mit diversen Trägern in Berlin und Brandenburg abschließt und damit eine Vielzahl von niedrigschwelligen Unterbringungsmöglichkeiten für diese Personengruppe schafft.

5. Im Idealfall müsste die Begleitung von Kleeblatt-Patient*innen in Berlin auf der Landesebene zusätzlich finanziert werden, beispielsweise indem die Helfer*innen auf Honorar-Basis ihre Tätigkeit fortsetzen können. Mehrere etablierte zivilgesellschaftliche Organisationen wären bereit, ein solches Projekt durchzuführen.

6. Enger Austausch zwischen den Berliner und den Kiewer bzw. ukrainischen Behörden zur aktuellen gesetzlichen Lage hinsichtlich der kriegsverletzten Soldat*innen, die im Rahmen des Kleeblatt-Verfahren im Ausland behandelt werden. Hier ändert sich stets die gesetzliche Lage sowohl seitens der Ukraine als auch von Deutschland. Die Leitragenden sind am Ende die Kriegsverletzten und ihre Angehörigen.

Die Sicherheitslage in der Ukraine bleibt gefährlich und unberechenbar. Täglich werden zivile Einrichtungen und Häuser von der russischen Armee attackiert – mit tragischen Folgen für die Bevölkerung. Das Gesundheitssystem ist überlastet, das medizinische Personal stößt an seine Grenzen. 

Sie haben, Herr Bürgermeister, mit Ihrem ukrainischen Kollegen Vitali Klitschko eine Städtepartnerschaft Berlin-Kiew ins Leben gerufen. Wir bedanken uns vom Herzen für Ihr Engagement! Eine Unterstützung vor Ort in der Ukraine ist äußerst wichtig. Es ist ein Zeichen der Solidarität und des Zusammenhaltes. Es bringt auch ganz konkret die dringend benötigte Hilfe vor Ort.  

Gleichzeitig liegt es an uns, Berlinerinnen und Berlinern, den Patient*innen aus der Ukraine, die nach Deutschland im Rahmen des Kleeblatt-Verfahrens eingeladen wurden, eine adäquate Versorgung zu gewährleisten, statt sie zurück ins Kriegsgebiet zu schicken. Viele sind verzweifelt zurück in die Ukraine gekehrt, ohne Behandlung, ohne Reha, ohne Prothesen. Es führt dazu, dass die wertvolle Zeit vergeht, dass einige komplizierten OPs nicht in der Ukraine durchgeführt werden können, dass die Kriegsverletzten die notwenigen Medikamente nicht erhalten.

Das soll aber nicht unser Ziel und unser Anspruch sein.

Mit einigen Schritten können wir ganz konkret die Situation der Kleeblatt-Patient*innen verbessern, ihnen die Zugänge zur medizinischen Versorgung und weiteren Leistungen wie Reha-Maßnahmen und hochwertigen Prothesen erleichtern sowie eine bedarfsgerechte Unterbringung gewährleisten.

Wir freuen uns auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Ehrenamtliche

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